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Fachartikel aus MECHATRONIK 6/2017, S. 6 bis 9

Schunk

Servogreifer flexibilisieren die Räderproduktion

Eine Montagelinie für Kompletträder, auf der eine große Variantenvielfalt an Räder- und Reifenkombinationen hocheffizient nach neuesten Qualitäts- und Sicherheitsstandards produziert werden kann, nutzt zum robotergestützten Einkleben der Wuchtgewichte einen hochflexiblen Servogreifer.

Bild: Schunk
Der servoelektrische Rädergreifer wurde anwendungsspezifisch für Schenck RoTec konstruiert. Er ermöglicht ein flexibles Handling unterschiedlicher Räder und gewährleistet eine präzise Positionierung und Prozessüberwachung. (Bild: Schunk)

Vom 14-Zoll-Rad für den Cityflitzer bis zum 23-Zoll-Niederquerschnittsrad für Premiumfahrzeuge müssen Tier-1-Lieferanten heute die komplette Palette an Rädern und Reifen bereitstellen. Auch im Detail gibt es reichlich Unterschiede: So variiert bei Auswuchtgewichten für Premiumfahrzeuge längst nicht mehr nur das Gewicht. Auch deren Farbe unterscheidet sich von Fahrzeug zu Fahrzeug. Hinzu kommen immer weiter steigende Qualitäts- und Sicherheitsanforderungen, wie die Integration von Kontrollsystemen für den Reifendruck, die Reifensitzoptimierung oder die Uniformity-Prüfung, die den Montageaufwand zusätzlich erhöhen.

Um die erforderliche Flexibilität zu erzielen, nutzt Schenck RoTec in einer vollautomatisierten Anlage zur Rädermontage einen anwendungsspezifisch konstruierten Servogreifer von Schunk. Dieser positioniert die unterschiedlichen Räder beim Unwucht-Ausgleich über der Klebestation. Mit hoher Präzision und abgestimmt auf die Taktung der Gesamtanlage übernimmt der Kleberoboter die aus Endlos-Coils zugeführten Ausgleichsgewichte und bringt sie punktgenau auf die vom Auswuchtsystem definierte Position in der Felge an. Dabei überwachen Sensoren den Anpressdruck und gewährleisten eine maximale Prozesssicherheit. Im Vergleich zu manuellen oder teilautomatisierten Wuchtstationen konnte die Ausbringungsmenge mit dem vollautomatischen System deutlich gesteigert werden. „Die Anlage ermöglicht kürzere Taktzeiten, eine um 30 % höhere Produktivität und eine prozesssichere Einleitung der Klebekraft. Zudem lässt sich die Restunwucht durch die neuen Gewichte deutlich reduzieren“, unterstreicht Andreas Peinelt, Produktlinienleiter Reifen & Räder bei Schenck RoTec.

Präzise Positionierung der Greiferfinger

Zentrales Element des anwendungsspezifisch konstruierten Greifsystems ist ein spindelgetriebenes Linearmodul der Baureihe Schunk Delta, das für anspruchsvolle Linearbewegungen mit hohen Momentbelastungen ausgelegt ist. Seine innenliegende, doppelte Profilschienenführung gewährleistet eine maximale Steifigkeit und Präzision, sodass selbst hohe Belastungen aufgenommen werden. Um die Zuverlässigkeit und Lebensdauer des extrem flachen Moduls zu erhöhen, schützt ein speziell fixiertes Abdeckband aus Kunststoff die Führungen und Antriebselemente vor Schmutz. Das adaptierbare Modul überzeugt mit hohen, konstanten Kräften und einer Wiederholgenauigkeit von ± 0,03 mm bei einem flexiblen Hub von 285 mm je Backe. Es kann frei programmiert und zur einfachen Einbindung in bestehende Steuerungskonzepte mit unterschiedlichen Servomotoren ausgestattet werden. In Kombination mit einem Motor des Roboterherstellers lässt es sich wie bei Schenck RoTec komfortabel als siebte Achse unmittelbar in die Steuerung des Roboters integrieren. Neben der Wegpositionierung der Greiferfinger und einer Anwesenheitskontrolle verfügt das Greifsystem zusätzlich über eine strombasierte Kraftregelung der Finger. Diese ermöglicht während des Handlings eine Kontrolle des Reifendrucks, um beispielsweise plötzliche Druckluftverluste aufgrund von Lunkern in der Felge oder undichten Ventilen auszuschließen.

Andreas Peinelt sieht in dem mechatronischen Greifsystem deutliche Vorteile gegenüber den bislang üblichen pneumatisch gesteuerten Lösungen: „Wir haben uns ganz bewusst für einen servomotorischen Greifer entschieden, da dort verschiedene Funktionen integriert werden können. Indem wir über den Servoantrieb eine Positionsrückmeldung erhalten, sind wir in der Lage, die Finger vorzupositionieren und die Taktzeit optimal zu gestalten. Zudem stellt das Haltemoment sicher, dass beispielsweise bei einem Not-Aus oder bei offener Schutztür ein sicherer Halt des Rades gewährleistet ist“, erläutert Peinelt. Darüber hinaus baue das mechatronische Greifsystem wesentlich kompakter und der Installationsaufwand liege deutlich unter dem von pneumatischen Rädergreifern.

Während der Unwucht-Ausgleich bislang in der Regel manuell erfolgt, indem dem Werker die Größe der anzubringenden Gewichte und deren Position angezeigt wird und er die Gewichte manuell an der markierten Klebeposition aufklebt, geht der Trend bei modernen Anlagen zu vollautomatischen Lösungen. „Kein Werker ist in der Lage, über acht Stunden hinweg einen identischen Anpressdruck zu gewährleisten. Daher fordern immer mehr OEMs aus Gründen der Prozesssicherheit eine automatische Lösung, bei der der Anpressdruck verifiziert und dokumentiert wird“, betont Andreas Peinelt. Anstelle vorkonfektionierter Gewichte in einem Split von 5 g bis 80 g kommen an der Anlage 120 kg schwere Coil-Gewichte zum Einsatz, die unmittelbar vor dem Kleben vollautomatisch für das jeweilige Rad abgeschnitten und an eine Applikationshand übergeben werden. Parallel dazu entnimmt der Greifer das jeweilige Rad aus der Wuchtstation und positioniert es über dem Kleberoboter, der von unten in die Felge eintaucht und die Gewichte mit definiertem Anpressdruck einklebt.

Mechatronisierung bietet zahlreiche Vorteile

Nach Einschätzung des Spezialisten von Schenck RoTec geht der Trend in der Räderproduktion klar in Richtung Robotik und Mechatronisierung, denn immer häufiger ließen sich die anspruchsvollen Layout-Vorgaben von Räderprojekten nicht mehr mit mechanischen Lösungen abbilden. Gerade im Premiumsegment forderten Kunden immer häufiger eine Individualisierung bis ins Detail, sprich die silberne Felge erhält ein silbernes Gewicht, die schwarze ein schwarzes, blaues, rotes oder gelbes. Das Komplettrad, betont Andreas Peinelt, unterliege wie kein anderes Bauteil am Pkw der Veränderung: zum einen aufgrund technischer Entwicklungen, zum anderen aufgrund der steigenden Individualität der Kunden. Ein Premiumhersteller produziere heutzutage schnell über 10.000 Räder pro Tag für fünf verschiedene Modelle. Pro Modell zehn bis fünfzehn Aluminiumfelgen, zehn verschiedene Reifenfabrikate und vier Ventiltypen. „Wenn sie einen chaotischen Mix an Rädern und individuellen Merkmalen auf einer Linie fahren wollen, bieten Roboter und mechatronische Komponenten die höchste Flexibilität und sie ermöglichen eine größtmögliche Standardisierung bei maximaler Varianz“, fasst der Produktlinienleiter zusammen und ergänzt: „Eine solche Applikation lässt sich gleichermaßen als vollautomatische Lösung mit zwei Robotern oder als werkerspezifische Lösung mit einem Roboter einsetzen.“ Bei letzterer wird das Rad vom Roboter zum Werker eingedreht und manuell an den per Laser markierten Ausgleichspunkten mit Gewichten versehen. Dabei entstehen deutliche Ergonomie-Vorteile, denn die Positionierung des Rades lässt sich individuell an die Größe des einzelnen Werkers anpassen. Hinzu komme die wesentlich höhere Energieeffizienz von mechatronischen Greifsystemen, der geringe Verschleiß durch den Wegfall von Energieketten, die Möglichkeiten zur Abfrage, der zügige Modulwechsel im Falle einer Anlagenwartung oder eines Crashs, die reduzierte Geräusch- und Partikelemission sowie die Möglichkeiten zu energieeffizienten Pausenschaltungen und zu einer durchgängigen Prozessdokumentation. „Nachdem die Preise für mechatronische Komponenten mittlerweile deutlich gesunken sind, gehen wir davon aus, dass der Anteil mechatronischer Greifsysteme in den kommenden Jahren erheblich steigen wird“, fasst Andreas Peinelt zusammen.